
«Ich habe mich in beiden Welten zu Hause gefühlt»
Unsere Festivaldirektorin Nadja Berger hatte einen ereignisreichen Januar: zuerst als Jurymitglied beim internationalen Circus Festival Monte-Carlo – dem bekanntesten Circusfestival der Welt – und kurz darauf beim Festival Mondial du Cirque de Demain in Paris.
Nadja, was waren für dich die prägendsten Momente und welche Eindrücke nimmst du mit von den beiden Festivals?
Am eindrücklichsten war für mich, den Circus in zwei völlig unterschiedlichen Welten zu erleben. Es war überwältigend, sie so nah aufeinanderfolgend an den beiden Veranstaltungen zu entdecken. Es war, als würde ich von einem Universum ins nächste wechseln – und trotzdem habe ich mich in beiden Welten zu Hause gefühlt. Ich stellte zudem wieder mal fest, dass Tradition oft länderspezifisch ist – in Frankreich und anderen westeuropäischen Ländern etwa ist der Circus sehr progressiv, während er zum Beispiel in Südamerika oder Asien deutlich klassischer geprägt ist.
Wo siehst du Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Festivals, und worin unterscheiden sie sich?
Beide Festivals präsentieren Artistik auf höchstem Niveau. Die körperlichen Leistungen und Skills der Künstler:innen sind überall herausragend – das ist die gemeinsame Basis. Aber dann beginnen die Unterschiede: In Monte Carlo herrscht eine traditionelle Atmosphäre. Alles ist bunt, fröhlich, es gibt Tiernummern, und die klassischen Circustraditionen werden geehrt. Paris hingegen setzt auf Innovation und zeitgenössische Kunst – Traditionen werden bewusst aufgebrochen, um Neues zu schaffen. Für mich war es eine besondere Herausforderung, in Monte Carlo in der Jury die Tiernummern zu bewerten, da ich diese Kriterien zuvor selten anwenden musste. Aber ich war mir immer bewusst, in welcher Welt ich mich gerade bewege, und habe versucht, meine Beurteilungskriterien entsprechend anzupassen.
Wie positioniert sich das YOUNG STAGE Circus Festival zwischen traditionellem und modernem Circus?
Das YOUNG STAGE Festival liegt irgendwo in der Mitte, und das macht es so spannend. Wir versuchen, das Beste aus beiden Welten zu verbinden: Wir sind innovativ und respektieren gleichzeitig die Traditionen. Unser Ziel ist es, das gesamte Spektrum des Circus zu zeigen. Denn der Circus sollte meiner Meinung nach als Ganzes gesehen werden und je mehr man dies tut, desto mehr Möglichkeiten tun sich auf.
Beide französischen Festivals sind internationale Treffpunkte der Circusbranche. Wurdest du dort darauf angesprochen, dass das YOUNG STAGE Festival dieses Jahr zum letzten Mal stattfindet?
In Monte Carlo wurde das Thema eher am Rande angesprochen, in Paris hingegen von fast jeder Person, die ich antraf – dort ist einfach mehr unsere Community zu Hause. Die Reaktionen waren durchweg positiv. Viele sind zwar traurig, dass wir die letzte Ausgabe planen, aber alle haben grosses Verständnis dafür. YOUNG STAGE hat einen besonderen Platz in der Circuswelt erarbeitet, und das wird auch wertgeschätzt.
Freuen sich deine Kolleg:innen auf das Grande Finale im September?
Ja, absolut! Unglaublich viele haben gesagt, dass sie kommen werden. Ich glaube, das wird noch einmal ein richtiges «Klassentreffen». Unsere letzte Ausgabe wird sicherlich sehr emotional, und natürlich werden wir auch wehmütig sein. Gleichzeitig spüre ich viel Neugier: Die Community fragt sich, was danach kommen wird. Ab dem 21. März können Tickets für unser Grande Finale gekauft werden – wer dabei sein möchte, sollte sich dann beeilen!
Nach deinem intensiven Austausch mit Künstler:innen und Branchenexpert:innen: Wohin, glaubst du, entwickelt sich die Circuswelt in den kommenden Jahren?
Diese zwei unterschiedlichen Circuswelten so nah beieinander zu erleben, hat mich zum Nachdenken gebracht. Ich habe keine Glaskugel, aber einen Wunsch: Beide Extreme sollten sich stärker öffnen und mehr voneinander lernen und profitieren. Ich wünsche mir, dass wir uns in Zukunft etwas mehr in der Mitte bewegen und dass das Publikum und dessen Bedürfnisse nicht vergessen gehen. In nicht ganz einfachen Zeiten wie diesen brauchen Menschen positive Emotionen – leichte, zugängliche Momente, die ihnen Freude bringen. Die Spannung zwischen Kunst und Konsum, zwischen Anspruchsvollem und Unterhaltsamem bleibt eine Herausforderung. Aber ich glaube fest daran, dass diese Pole sich nicht ausschliessen müssen, sondern dass sie sich sogar gegenseitig ergänzen und inspirieren können.